Sonntag, den 26. Mai 2013 Vom Campingplatz in der Nähe des Dorfes Engure bis Riga, Tageskilometer: 63 km, Gesamtkilometer: 1850km

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6:30 Uhr aufstehen, Jürgen arbeitet bereits im Parterre am Laptop und schreibt Tagebuch. Da wir nur noch 60 km bis Riga zu fahren haben, können wir es heute langsamer angehen lassen und senden bis 10 Uhr alle aktuellen News an Ina. Ich hole den Campingplatzbesitzer Ivo, damit er den Schuppen mit den Rädern aufschließen kann. Seine freundliche Mutter öffnet und sagt, dass sie Ivo aus dem Bett hole. Ich frage Ivo, ob er gut geschlafen habe. Viel zu wenig, sagt er, die Mutter habe ihn mit ihrem Geklapper viel zu früh geweckt. Ivo erzählt gerne: Er hat früher einen großen LKW gefahren bis Spanien, auch aus Köln hat er Schokolade vom Imhof (Stollwerck) abgeholt. An der deutschen Grenze habe er gerne die Zöllner aufgezogen. „Haben sie Zigaretten?“ Antwort: „Nein, Kalaschnikows“ Frage: „Wo“? „Nein, heute Handgranaten, Panzerfäuste usw.“ Irgendwann seien die Beamten dann entnervt gewesen und hätten seine Kiste Wodka gar nicht entdeckt. Die langen Fahrten mache sein Herz aber nicht mehr mit. Er erzählt, dass er seine 2-jährige Dienstzeit in der Mongolei absolvieren musste und mimt dann den Soldaten Ivo in Russland, der ständig Wodka trinken muss. In Riga habe er Haus, Frau und 6-jährigen Sohn. Seitdem er seinen Vater beerdigt und in den Himmel gebracht habe, sei er Chef vom Campingplatz, der nur ca. 50 m vom Strand entfernt liegt. Wir fahren gegen 10:15 Uhr in den Regen Richtung Riga los. Wie auch während der letzten Tagen schimmert durch die Bäume immer wieder die Ostsee durch. Während des unaufhörlichen Regens und weil unser Etappenziel heute nicht mehr weit ist, haben wir ein ausgedehntes Mittagessen und Jürgen liest die Kommentare auf unserer Webseite (selbst kleinste Restaurants haben hier WiFi) vor. Die Anfrage von Verena nach der Tigerente lässt sich leicht beantworten, da Jürgen der Einzige ist, der in seinen Gore-Tex-Socken watscheln kann. Bei dem Dreigestirn am Ostseehimmel (eingetragener Kommentar von Elisabeth) war es schon schwieriger, die Jungfrau heraus zu finden. Mit Bezug auf den Kommentar von Ingeborg und den zitierten Meister Eckart versuche ich noch einen Sinn in meinem kaputten Zahn zu finden. Wie weit wir von allem Weltlichen entfernt sind, ergibt sich aus einer heftigen Diskussion, ob wir nun Samstag oder Sonntag hätten. Wir konnten uns erst auf Sonntag einigen, als ich auf dem Kalender meines Billighandys nachsah. Am Nachmittag hört der Regen auf und wir konnten es kaum glauben, dass irgendwann die Sonne durchkam. Eine Regenhaut nach der anderen wird ausgezogen und dann wird es richtig warm. Wir erreichen die Vororte Rigas. Die Stadt „Riga“ kannte ich leider bislang nur von vergoldeten Pflastersteinen aus der fernen Heimat mit dem Hinweis „Ermordet in Riga!“ Wir halten an einer lettisch-orthodoxen Kirche, ich küsse drei Mal den Marmorboden der Kirche in Erinnerung an die Opfer, die Aufseherin schlägt darauf mit Weihwasser drei Mal das Kreuzzeichen. Ich kann ungestört fotografieren, während sie Jürgen zurückweist. Weil ich den Boden geküsst habe, hat sie doch wohl nicht gleich an den Papst gedacht? Aber bei Jürgen mit Vollbart, der blutroten Fahrradsoutane und dem roten gepanzerten Cappi, hätte sie zumindest auf ein berühmtes Mitglied der Borgia-Familie schließen und ihn ebenfalls fotografieren lassen können. Wir fahren dann durch den Vorort Jûrmala mit modernen, aber auch mit alten verfallenen Villen (z.T. in sehr eigenwilligen und handwerklich aufwendigen Holzkonstruktionen). Wir verlassen nach hunderten Kilometern die Küstenstraße und fahren dann eine längere Strecke parallel zur Bahnlinie auf einem holprigen Fahrradweg bis wir plötzlich wie gebannt auf einer mächtigen Hängebrücke vor der 750 000-Einwohner-Stadt Riga mit ihren schönen Türmen stehen. 1201 verlegte Bischof Albert seine Residenz von Üxküll an das Ufer des Riegabaches. Daher der Name! Dank Jürgens und Karl-Josefs genialem Pfadfindergespür fanden wir ohne Umwege das Hostel und bewohnen nun - dank der Buchung von Simeon - ein sehr schönes und geräumiges Dachzimmer. Das Vorhandensein einer Waschmaschine und das sehr warme Dachzimmer zum Trocknen nutzen wir, um unsere Wäsche zu waschen. Abends gehen wir um ca. 21:00 Uhr noch in die Altstadt, essen eine Kleinigkeit (die gewohnt niedrigen Preise in Lettland ziehen nun deutlich an) und sind nach einigen Nachtaufnahmen von Jürgen vor Mitternacht wieder zurück im Hostel.

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