Ein ruhiges, aber regelmäßiges Trommeln weckte mich um 6:00 Uhr aus dem Tiefschlaf. Regnet es? Das Dachfenster hatten wir hier unter dem Hausgiebel wegen der Wärme weit geöffnet. Ich sprang aus dem Bett, um es zu schließen. Im Nachbarbett saß Jürgen und klimperte auf der Notebooktastatur. Also Entwarnung! Ein Blick zum Fester bestätigte: kein Regen sondern bewölkter Himmel. Also noch mal rumdrehen und weiter schlafen. Um 7:00 Uhr ist aufstehen und gegen 8:00 Uhr Frühstück im Hostel angesagt. Erfreut über die gestern frisch gewaschene und trockene Bekleidung packten wir unsere Fahrradtaschen. Eine genaue Kontrolle der Fahrräder war angezeigt, da ja in der vorletzten Nacht die untereinander verschlossenen Drahtesel versetzt worden waren. Eine verschobene Lampe, defektes Schutzblech und ein Fehler an der Handbremse mussten behoben werden. Wie geht es nun mit dem Fahrrad aus der Hauptstadt Lettlands? Unübersichtliche, fremde Großstädte stellen für Radfahrer immer eine Herausforderung dar. Einmal in der Orientierung und zweitens wegen des von mir unmittelbar als bedrängend zu erlebenden Straßenverkehrs. Meine Fahrradnavigation Garmin GPSmap 62c gab Auskunft über die „Fahrradroute“ aus der Stadt. In 5 Minuten war die Ausfallstraße Richtung Nordosten erreicht. Je zwei Aus- und Eingangsspuren werden in der Mitte durch eine Baumallee geteilt. Alte, 5 bis 6 Stockwerke hohe Wohnhäuser und Einkaufszentren begleiten unseren Weg über 6 km durch den Stadtgürtel heraus. Dann wird die Stadtstraße zur Schnellstraße „A2“ oder auch „E77“ genannt, eine autobahnähnliche und 4 spurig ausgebaute Straße. Das vor uns liegende Autobahnkreuz „A1“ und „A2“ weckte bei mir kein Verlangen, dies mit dem Rad zu befahren. Mein Garmin zeigte eine „Fahrradnebenstrecke“ zur ungefährlichen Umrundung des Straßenkreuz-Kleeblattes an. Mit ständigem Blick auf mein Navi landeten wir bald im Wald. Jürgen fluchte, „Scheiß Umweg und Schotterstraße“! Ich bekräftigte meine Entscheidung wegen der Gefahren für Radfahrer, nicht mit dem Rad über ein Autobahnkreuz zu fahren und folgte unentwegt der Führung des Navis. Es brachte uns nach ca. 3 km auf die „A1“ oder auch „Via Baltica“ genannt. Bei intensivem Studium von Karten und Navi kommen wir zum Ergebnis, dass wir nur über die „A1“ zum Ziel Küstenstraße gelangen können. Jürgen fragt: „Siehst du hier ein Schild Fahrverbot für Fahrräder?“ – Nein! Nach wenigen Kilometern waren statt der vierspurigen Autostraße nur noch zwei vorhanden und dazu für uns noch eine mit Markierungen abgegrenzte „Langsamfahrspur“. Nun konnten wir unbeschwert in die Pedale treten. Auf der Gegenseite kamen uns auch Radfahrer entgegen, so dass es in der Tat wohl hierzu kein Verbot gibt. Wir machen gute Kilometer auf der gut ausgebauten Transitstrecke nach Estland, aber mit dem Nachteil, dass viele LKWs mit unterwegs sind. Nach einer Mittagspause in einem Schnellrestaurant in Saukrasti versuchten wir, die auf der Touristenkarte des „Central Baltic Cycling“ vermerkte Routenbeschreibung und Kartenzeichen einen angeblich bestehenden Radweg zu finden. Der Versuch endete auf einer durchgeweichten Schotterstraße. Wir entschieden uns, wieder auf die „A1“ gegen Norden zu fahren. Vorher mussten wir jedoch Regenkleidung anlegen, da es zunächst wenig, später jedoch intensiver regnete. Nach einer Stunde ließ der Regen nach und die seit dem Start in Riga verschwundene Sonne begrüßte uns so, als wenn sie sagen wollte: „Ach seid ihr auch noch da“! Das Ende der Tagesetappe mit 82 km war Tuja. Der Ort liegt 2 km abseits von der Via Baltica in Richtung Küste und lockt mit mehreren Campingplätzen. Die vielversprechende Werbung führte uns auf einen sehr großen Wiesenplatz unmittelbar am Meer. Die Sonne ließ das Grün der frisch gemähten Wiese aufleuchten. Kaum hielten wir an, überfielen uns Myriaden von Mücken. Heiner zog gleich das Mückennetz über den Kopf und Handschuhe an und sagte: „Ha, jetzt können die Viecher mir nichts mehr anhaben“. „Heiner – du bist peinlich“ sagte ich bevor uns der Vermieter erreichte. Er sprach gut Deutsch. Aufgrund der nassen Wiese und der Mückenplage entschieden wir uns nicht für einen Zeltplatz, sondern übernahmen ein sehr gut eingerichtetes Appartement. Heiner hatte mittags Gemüse und Nudeln für Ratatouille eingekauft. Munter stand er in der offenen Wohnküche, hörte mit Kopfhörer Musik, schnitt Zwiebeln und Knoblauch sowie die Gemüsevorräte klein und kochte eine besonders große Portion Nudeln. Das Essen war hervorragend. Dazu gab es noch süßen Rotwein und Weißwein nach Belieben. Dann begannen wir mit der Antimückentherapie, die uns der sehr kommunikative Vermieter empfohlen hatte: Knoblauch und Wodka! Der Abend war gerettet, die Mücken draußen und wir satt und zufrieden drinnen.







