Heiner stand um 7:00 Uhr frisch geduscht und fast fertig angezogen vor mir, als ich ausgeruht die Augen öffnete. „Ich gehe gleich einkaufen. Wir haben gestern nichts zum Frühstück eingekauft.“ Obwohl wir unser Hostel in der Innenstadt hatten, kam er nach einer halben Stunde frustriert zurück und berichtete, er habe kein Lebensmittelgeschäft gefunden, nur ein Café, das erst um 8:00 Uhr wie alle anderen öffnete. In den baltischen Staaten unterscheiden sich Lebensmittelläden durch fehlende Werbehinweise fast nie von den übrigen Häusern. Um 7:45 Uhr zogen wir beide los; allerdings weiterhin ohne Erfolg. Ein riesiges Einkaufszentrum öffnete erst um 9:00 Uhr. Die Rettung der fast verhungernden Nordlandfahrer am frühen Morgen in einer Kleinstadt bestand aus einem kleinen Café. Dort packte uns eine sehr nette Verkäuferin fast alles ein, was sie gerade in der Theke auf Tellern präsentiert hatte. Fertig geschmierte Brote mit Eiern, Schinken und Sardellen sowie ein Liter Milch. Damit ein rundherum hervorragendes Frühstück, dank Heiners Auswahl. Um 11:00 Uhr ist dann alles gepackt und es ging dann zielstrebig aus der Stadt. Wir hatten uns vorgenommen, ein Stück der Küstenstraße lang zu fahren um dann nach ca. 30 km durch das Landesinnere gegen Norden Richtung Tallin zu fahren. Die Landschaft ist anders als das, was wir bisher entdeckt haben. Kiefernwälder bestimmen nicht mehr das Bild alleine. Buchen und Erlen mit Birken in weniger ausgedehnten Feuchtgebieten wechseln mit landwirtschaftlichen Flächen oder kleinen Gärten mit akkuraten bunt angestrichenen Holzhäusern. Über 30 km keine richtigen Ortschaften sondern nur kleine Weiler, die auf keiner Karte stehen und schon gar nicht auf meiner digitalen OSM-Karte im Garmin. Viele Hinweise auf Sehenswürdigkeiten die wir wegen der fehlenden Sprache und ohne Sprachführer nicht deuten können. Ein Aussichtsturm am Lindi Nationalpark lädt zum Verweilen ein. Ein riesiges Sumpfgebiet breitet sich vor uns aus. Überall sind die weißen Zipfel des Wollgrases zu sehen. Vögel können wir nicht ausmachen. Libellen und Frösche sind nicht zu übersehen bzw. zu überhören. Wo die Straße von einem Graben begleitet wird, sind selten große Knabenkrautorchideen zu sehen, die neben vielen anderen wasserliebenden Pflanzen, durch ihre leuchtende Farbe aufmerksam machen. In einem „größeren Straßenort“ der sich durch Schule und Poliesei – Station (kein Schreibfehler, sondern der Name der Polizei in Estland) auszeichnet, finden wir eine „Bar“. Der Besitzer versucht seine Speisekarte ins Englische zu übersetzen, holt aber dann seine Mutter, die gut Englisch spricht und sich auch sofort in der Küche zu schaffen macht. Das Essen ist gute Hausmannskost. Es ist sehr schwül-warm. Riesige Wolkenberge türmen sich auf. Unsere Wirtin meint, dass es in unserer Richtung mehrere Übernachtungsmöglichkeiten gibt. So fahren wir getrost weiter, um die vorgesehene Strecke von ca. 80 km zu schaffen und hoffen auf einen Zeltplatz oder Hütte. Das bleibt nur eine Hoffnung. Selbst ein Bauer wollte uns trotz des heraufziehenden Gewitters nicht auf seine Wiese lassen, nachdem bereits Blitze zuckten und die ersten dicken Regentropfen fielen. Wir flüchten uns in ein Wäldchen und bauen auf einer Lichtung in strömendem Regen und verfolgt von Myriaden von Mücken unsere Zelte auf. Wir schafften es, das Zelt „hochzuziehen“ und mit unseren Packtaschen im Vorzelt dann geschützt vor weiterem Regen zu sein. Dann hieß es zunächst alle nassen Sachen ausziehen und das Innenzelt nur mit den trockenen Teilen wie Isomatte und Schlafsack auszustatten. Nach einer Stunde hörte es zunächst auf zu regnen. Jürgen (hatte sein eigenes Zelt in der Nähe aufgebaut) kam zu uns, um das Wenige zum Abendessen mit uns zu teilen. Wir hockten im Vorzelt, Heiner im Innenzelt hinter dem Fliegen(Mücken)netz und wir schoben ihm durch einen Spalt die fertigen Brote zu. Immer mehr Mücken versammelten sich zwischen Innen- und Außenzelt. Einige Schnecken glaubten wohl unser Zelt mitten in ihrer Wiese sei eine neue Pflanze die es zu entdecken gilt. Wir konnten aus dem Innenzelt die Kletterversuche auf der Außenhaut getrost verfolgen. Sie fanden, wie alle anderen Insekten denen wir die Wiesenruhe geraubt hatten, keinen Einlass. Wir krochen trocken und zufrieden in unsere Zelte auf der einsamen Lichtung. Der unentwegte Vogelgesang wiegte mich in den Schlaf, bis irgendwann in der Nacht das nächste Gewitter mit kräftigen Regengüssen auf unser Zelt prasselte. Uns konnte nichts geschehen, der Zeltboden bleib dicht und irgendwann schlief ich wieder ein.









