Heiner rettet Karl-Josef die Socken und fährt heute alleine Streckenrekord mit über 110 km an diesem Tag und mir passiert ein folgenschweres und teuer zu stehendes Missgeschick.
Wir wachen heute bei strahlend blauem Himmel auf. Die Sonne braucht aber noch rund 1 Stunde, bis sie um die hohen Bäume herum gewandert ist und beginnen kann die Zelte zu trocknen. Auch heute Morgen gibt es wieder Probleme mit unserem Coleman Kocher. Ich komme einfach nicht dahinter, was die Ursache sein könnte. Wir haben ja zwei mit. Einen, den ich seit Jahren in Betreib habe und einen Neuen, den wir extra für die Tour noch gekauft haben. Beide haben die gleichen Probleme. Erst dachte ich das falsche Benzin (95 Oktan) gekauft zu haben und dann vermutete ich die kühlen Temperaturen seien die Ursache. Mittlerweile haben wir 98 Oktan und Temperaturen zwischen 18 und 25° und die Dinger wollen immer noch nicht. Warum erzähle ich das? Weil wir morgens immer tierisch lange auf heißes Wasser für unseren Kaffee warten müssen. Aber auch heute gibt es wieder Joghurt, Käse im Überfluss und frische Butter. Die Margarine, die wir noch aus Lettland in einer Dose mitschleppen, ist mittlerweile 4-6 mal während unserer Fahrten aufgeschmolzen worden und die Reste werden entsorgt. Nur die Brotscheiben sind ein bisschen knapp. Aber alle haben genug. Was wir heute am Sonntag vermissen, sind die sonntäglichen Frühstückseier und das, obwohl in unmittelbarer Nähe eine ganze Schar Hühner herumstreunen. Aber von der Familie der Campingplatzbesitzerin schlafen noch alle und selber Eier suchen, trauen wir uns nicht, zumal ein Husky (angeleint) hier Wache hält! In der Blockhütte mit Sauna nutzen wir die Toilette und Wasser können wir aus der Dusche entnehmen. Das Wasser ist erstaunlich frisch und riecht vollkommen in Ordnung, was wir schon lange nicht mehr hatten, daher füllen wir etliche Flaschen auf, zumal der Tag vermutlich sehr heiß werden wird. Im Vergleich zu gestern ist der weitere Weg klar und wir radeln munter drauf los. Nach etwa 9 km hören wir von Heiner erst nervöses Gemurmel und dann ein lautes „Mist“ (es kann auch die verschärfte Form gewesen sein). Was war passiert? Heiner war eingefallen, dass er noch eine recht teure Jacke auf einer Wäscheleine auf unserem letzten Zeltplatz hängen hatte, mit noch einigen anderen Teilen. Er entschied, ich fahre zurück und hole diese. Beiläufig merkte Karl-Josef an, auch noch weiße Socken auf der Leine hängen zu haben, ob er diese ihm mitbringen könnte, was er dann natürlich auch tat. Da wir an einem x-beliebigen Straßenverlauf standen, versprachen wir an der nächsten Bushaltestelle mit Bank zu warten. Wir fahren noch etliche Kilometer, da die Bushaltestellen jeweils da sind, wo es auch Häuser / Weiler gibt und die sind hier manchmal 5 – 6 Kilometer auseinander. Ein nahe gelegener großer Teich bietet während der Wartezeit Gelegenheit mit dem Tele auf Fotosafari zu gehen. Schwirrende Libellen finden allerdings zu selten Zeit, sich mal auf einen Halm zu setzen und dann gibt es noch ein ärgerliches Insekt, dass eine Mischung aus großer Fliege und unserer gefürchteten Bremse ist. Lässt man zu, dass es sich bequem auf eine Hautstelle setzen kann, beißt es zu, aber ohne lästige Nachwirkungen, wie es bei Bremsen- oder Mückenstichen ist. Diese Viecher begleiten uns auch kilometerlang während des Radelns, stehen aber merkwürdigerweise mehr auf unsere Taschen, wo sie sich dann bequem niederlassen und einfach ein Stück begleiten. Man erschrickt nur immer, wenn sie geräuschvoll kreuz und quer an einem vorbei brummen. Die gestern von Jaanus angesprochenen Elche, die nach seiner Schilderung gar nicht so selten Straßen kreuzen und die man durchaus dann zu Gesicht bekommen kann, bleiben uns leider verborgen. Dies wäre natürlich schon ein besonderes Erlebnis für uns. Es geht immer weiter auf einsamen Landstraßen und dann kommen wir plötzlich an eine 5 km lange Straßenbaustelle (steht auf einem Bauschild, mit dem Hinweis der finanziellen Unterstützung durch die EU!). Eine installierte Ampelschaltung ignorieren wir einfach und fahren an der Warteschlange vorbei, da eine Ampelphase für Autos nicht korrespondiert mit der Zeit, die wir mit dem Fahrrad brauchen. Die überholenden Autos fahren wirklich rücksichtsvoll an uns vorbei, aber es gibt auch einige, die durch die sandige, holprige, unbefestigte und lehmige Baustelle mit Karacho fahren und uns kräftig einstauben. Irgendwann ist die Baustelle zu Ende. Wir fahren durch 2 Orte, die in der Karte als größere Orte gekennzeichnet sind. Noch am Anfang der Baustelle war in einem ehemaligen Kloster ein “wie sät me op Kölsch: verdammt füürnehmes Restaurant“ und es kamen ja noch die zwei größeren Orte. Der erste Ort entpuppte sich irgendwie als Garnisonsstandort und der zweite Ort als reine Schlafstätte. Wir fanden weder eine Einkaufsmöglichkeit noch irgendetwas, wo wir was zu essen hätten kaufen können. Wir waren mittlerweile ja schon über 60 km gefahren und bei unserem armen Heiner waren es bereits an die 80 km und wir hatten einen richtigen Hungerast, den auch ein Notproviant bestehend aus Bountyriegeln nicht verhindern konnte. Der Gipfel der Verzweiflung war, als wir einen jüngeren Passanten (die sprechen in Estland eigentlich sehr gut Englisch) nach einem Restaurant frugen. Dieser meinte, das einzige Restaurant sei in westlicher Richtung in etwa 6 km zu finden. Wir fielen fast in Ohnmacht, er meinte genau das “füürnehme Restaurant“ am Anfang der Baustelle. Glücklicherweise war in der Seitenstraße im Ort 2 ein Ehepaar einen Holzzaun am streichen (s.o. es war Sonntag) und dem Mann fiel plötzlich ein (nachdem er zunächst auch auf das westliche Restaurant verwiesen hatte), dass in etwa 8 km in Fahrtrichtung noch eines sei. Er sprach zwar kein Deutsch und kein Englisch, dafür umso umschweifender Estnisch, aber dennoch wurde uns durch Gebärden klar, dass unser Überleben wohl gerettet war. Genauso kam es dann auch und wir hatten eine gute und reichliche Mahlzeit, die wieder wie in letzter Zeit häufiger durch eine Soljanka eingeleitet wurde. Nach dieser Stärkung ging es weiter zielstrebig auf die Küste zu. Wir hätten auch direkt nach Tallinn fahren können. Da wir in unserer Landkarte eine Auswahl an Zeltplätzen entdeckt hatten, wollten wir aber noch einmal einen Schlenker an der Küste vorbei machen. Als wir dann dort ankommen, gibt es einen ersten Hinweis auf einen Zeltplatz an dem wir aber vorbei fahren. Heiner kritisiert hier später, dass er nicht in die Entscheidung mit einbezogen wurde, aber der Platz war ca. 3-4 km von der Küstenstraße entfernt und nach Karte kam noch ein weiterer Platz wenige Kilometer weiter und unmittelbar an der Küste und an der Straße. Aber es kam wie es kommen musste, kein weiteres Hinweisschild auf einen weiteren Platz. Nur dank Navi finden wir an einer Bushaltestelle einen abgehenden Schotterweg, in den wir reinfahren. Hier gibt es eine Brücke über einen Fluss zum Strand und am Sonntagnachmittag halten sich hier noch viele Wochenendausflügler an dem schönen Strand auf. Wir suchen uns eine etwas abgelegene Stelle für unsere Zelte und schlagen sie in einem Kiefernhain auf. Als es gegen 22:00 Uhr zum Sonnenuntergang ansetzt, gehe ich noch zum Fotografieren an den Strand. Dabei passiert mir ein folgenschweres Missgeschick. Ich wechsle mein Objektiv auf der Kamera und lege mein kleines Zoomobjektiv in die umhängende Lenkertasche. Unbemerkt, weil ich mich auf die Aufnahme eines Vogels mit dem Tele konzentriere, fällt mir das andere Objektiv heraus und was noch schlimmer ist, ich trete es tief in den Sand. Idiotischerweise hatte ich den Schutzdeckel nicht auf dem Bajonettanschluss, weil ich ja den Augenblick zum Fotografieren des Vogels dringend wahrnehmen wollte. Ich war wie vom Blitz erschlagen. Trotz allem Schütteln, dem Versuch die Optik zu drehen, musste ich zur Kenntnis nehmen, dass das Objektiv nicht mehr zu gebrauchen war. Geschockt ging ich zum Zeltplatz zurück, um meinen Freunden die Hiobsbotschaft zu überbringen. Natürlich hat mich die halbe Nacht die Frage beschäftigt, was ich nun machen soll. Um den nächsten Tag vorweg zu nehmen, glücklicherweise gelingt es mir in Tallinn, das wohl einzige in Estland verfügbare gleiche Zeiss-Objektiv, zu einem deutlich höheren Preis als in Deutschland zu erwerben. Damit hoffe ich noch viele schöne Fotos unserer Abenteuertour machen zu können, die letztlich entscheidend unseren Blog mit bereichern werden. Bleibt die Hoffnung, dass das beschädigte Objektiv (schicke ich mit der Post nach Hause) noch repariert werden kann.











